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Johann Peter Eckermann − Gespräche mit Goethe (30)

(Goethe über Politik und Poesie, Patriotismus, Jakobinertum, Uhland)
Anfang März 1832. (I)

Wir sprachen über die tragische Schicksalsidee der Griechen.

»Dergleichen, sagte Goethe, ist unserer jetzigen Denkungsweise nicht mehr gemäß [...].

Wir Neueren sagen jetzt besser mit Napoleon: die Politik ist das Schicksal. Hüten wir uns aber mit unseren neuesten Literatoren zu sagen, die Politik sei die Poesie, oder sie sei für den Poeten ein passender Gegenstand. Der englische Dichter Thomson schrieb ein sehr gutes Gedicht über die Jahreszeiten, allein ein sehr schlechtes über die Freiheit, und zwar nicht aus Mangel an Poesie im Poeten, sondern aus Mangel an Poesie im Gegenstande.

Sowie ein Dichter politisch wirken will, muss er sich einer Partei hingeben, und sowie er dieses tut, ist er als Poet verloren; er muss seinem freien Geiste, seinem unbefangenen Überblick Lebewohl sagen und dagegen die Kappe der Borniertheit und des blinden Hasses über die Ohren ziehen.

Der Dichter wird als Mensch und Bürger sein Vaterland lieben, aber das Vaterland seiner poetischen Kräfte und seines poetischen Wirkens ist das Gute, Edle und Schöne, das an keine besondere Provinz und an kein besonderes Land gebunden ist, und das er ergreift und bildet, wo er es findet. Er ist darin dem Adler gleich, der mit freiem Blick über Ländern schwebt und dem es gleichviel ist, ob der Hase, auf den er hinabschießt, in Preußen oder in Sachsen läuft.

Und was heißt denn: sein Vaterland lieben, und was heißt denn: patriotisch wirken? Wenn ein Dichter lebenslänglich bemüht war, schädliche Vorurteile zu bekämpfen, engherzige Ansichten zu beseitigen, den Geist seines Volkes aufzuklären, dessen Geschmack zu reinigen und dessen Gesinnungs- und Denkweise zu veredeln, was soll er denn da Besseres tun? und wie soll er denn da patriotischer wirken? – An einen Dichter so ungehörige und undankbare Anforderungen zu machen, wäre ebenso, als wenn man von einem Regimentschef verlangen wolle: er müsse, um ein rechter Patriot zu sein, sich in politische Neuerungen verflechten und darüber seinen nächsten Beruf vernachlässigen. Das Vaterland eines Regimentschefs aber ist sein Regiment, und er wird ein ganz vortrefflicher Patriot sein, wenn er sich um politische Dinge gar nicht bemüht, als soweit sie ihn angehen [...].

Ich hasse alle Pfuscherei wie die Sünde, besonders aber die Pfuscherei in Staatsangelegenheiten, woraus für Tausende und Millionen nichts als Unheil hervorgeht.

Sie wissen, ich bekümmere mich im Ganzen wenig um das, was über mich geschrieben wird, aber es kommt mir doch zu Ohren, und ich weiß recht gut, dass, so sauer ich es mir auch mein lebelang habe werden lassen, all mein Wirken in den Augen gewisser Leute für nichts geachtet wird, eben weil ich verschmäht habe, mich in politische Parteiungen zu mengen. Um diesen Leuten recht zu sein, hätte ich müssen Mitglied eines Jakobinerklubs werden und Mord und Blutvergießen predigen! – Doch kein Wort mehr über diesen schlechten Gegenstand, damit ich nicht unvernünftig werde, indem ich das Unvernünftige bekämpfe.«

Gleicherweise tadelte Goethe die von anderen so sehr gepriesene politische Richtung in Uhland. »Geben Sie acht,« sagte er, »der Politiker wird den Poeten aufzehren. Mitglied der Stände sein und in täglichen Reibungen und Aufregungen leben, ist keine Sache für die zarte Natur eines Dichters. Mit seinem Gesange wird es aus sein, und das ist gewissermaßen zu bedauern.
[...]


Goethe sah sich schon zu Lebzeiten im vorgerückten Alter als Dichter wegen seiner streng an der Kunst orientierten Haltung erheblichen Anfeindungen ausgesetzt, etwa von Heine und Börne. (Anm. d. Hrg.)

(Eckermann, Gespräche mit Goethe. An den gekennzeichneten Stellen um andersthematische Inhalte gekürzt. Überschrift, Nummerierung und Anmerkung vom Herausgeber eingefügt)

Literatur
Entstehung und Rezeption
der "Gespräche mit Goethe"
bilden einen Schwerpunkt der anregenden Biografie über den Schriftsteller Johann Peter Eckermann.
Eckermann-Biographie, 2014
Helmuth Hinkfoth
Eckermann
Goethes Gesprächspartner

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