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Johann Peter Eckermann − Gespräche mit Goethe (1)

(Eckermanns erster Besuch bei Goethe)
Weimar, Dienstag den 10. Juni 1823.

Vor wenigen Tagen bin ich hier angekommen, heute war ich zuerst bei Goethe. Der Empfang seinerseits war überaus herzlich und der Eindruck seiner Person auf mich der Art, dass ich diesen Tag zu den glücklichsten meines Lebens rechne.

Er hatte mir gestern, als ich anfragen ließ, diesen Mittag zwölf Uhr als die Zeit bestimmt, wo ich ihm willkommen sein würde. Ich ging also zur gedachten Stunde hin und fand den Bedienten auch bereits meiner wartend und sich anschickend mich hinaufzuführen.

Das Innere des Hauses machte auf mich einen sehr angenehmen Eindruck; ohne glänzend zu sein war alles höchst edel und einfach; auch deuteten verschiedene an der Treppe stehende Abgüsse antiker Statuen auf Goethes besondere Neigung zur bildenden Kunst und dem griechischen Altertum. Ich sah verschiedene Frauenzimmer, die unten im Hause geschäftig hin und wieder gingen; auch einen der schönen Knaben Ottiliens, der zutraulich zu mir herankam und mich mit großen Augen anblickte.

Salve! - Sei gegrüßt! Salve
Willkommensgruß
an Goethes
Türschwelle

Nachdem ich mich ein wenig umgesehen, ging ich sodann mit dem sehr gesprächigen Bedienten die Treppe hinauf zur ersten Etage. Er öffnete ein Zimmer, vor dessen Schwelle man die Zeichen SALVE als gute Vorbedeutung eines freundlichen Willkommenseins überschritt. Er führte mich durch dieses Zimmer hindurch und öffnete ein zweites, etwas geräumigeres, wo er mich zu verweilen bat, indem er ging, mich seinem Herrn zu melden. Hier war die kühlste erquicklichste Luft, auf dem Boden lag ein Teppich gebreitet, auch war es durch ein rotes Kanapee und Stühle von gleicher Farbe überaus heiter möbliert; gleich zur Seite stand ein Flügel, und an den Wänden sah man Handzeichnungen und Gemälde verschiedener Art und Größe.

Durch eine offene Tür gegenüber blickte man sodann in ein ferneres Zimmer, gleichfalls mit Gemälden verziert, durch welches der Bediente gegangen war mich zu melden.

Es währte nicht lange so kam Goethe, in einem blauen Oberrock und in Schuhen; eine erhabene Gestalt! Der Eindruck war überraschend. Doch verscheuchte er sogleich jede Befangenheit durch die freundlichsten Worte. Wir setzten uns auf das Sofa. Ich war glücklich verwirrt in seinem Anblick und seiner Nähe, ich wusste ihm wenig oder nichts zu sagen.

Das rote Sofa
Das Ensemble mit
dem roten Kanapee

Er fing sogleich an von meinem Manuskript zu reden. »Ich komme eben von Ihnen her, sagte er; ich habe den ganzen Morgen in Ihrer Schrift gelesen; sie bedarf keiner Empfehlung, sie empfiehlt sich selber.« Er lobte darauf die Klarheit der Darstellung und den Fluss der Gedanken, und dass alles auf gutem Fundament ruhe und wohl durchdacht sei. »Ich will es schnell befördern, fügte er hinzu; heute noch schreibe ich an Cotta mit der reitenden Post, und morgen schicke ich das Paket mit der fahrenden nach.«

Ich dankte ihm dafür mit Worten und Blicken.

Wir sprachen darauf über meine fernere Reise. Ich sagte ihm dass mein eigentliches Ziel die Rheingegend sei, wo ich an einem passenden Ort zu verweilen und etwas Neues zu schreiben gedenke. Zunächst jedoch wolle ich von hier nach Jena gehen, um dort die Antwort des Herrn von Cotta zu erwarten.

Goethe fragte mich, ob ich in Jena schon Bekannte habe, ich erwiderte, dass ich mit Herrn von Knebel in Berührung zu kommen hoffe, worauf er versprach, mir einen Brief mitzugeben, damit ich einer desto bessern Aufnahme gewiss sei.

»Nun, nun! sagte er dann, wenn Sie in Jena sind, so sind wir ja nahe beieinander und können zueinander und können uns schreiben, wenn etwas vorfällt.«

Wir saßen lange beisammen, in ruhiger liebevoller Stimmung. Ich drückte seine Knie, ich vergaß das Reden über seinem Anblick, ich konnte mich an ihm nicht satt sehen. Das Gesicht so kräftig und braun und voller Falten, und jede Falte voller Ausdruck. Und in allem solche Biederkeit und Festigkeit, und solche Ruhe und Größe! Er sprach langsam und bequem, so wie man sich wohl einen bejahrten Monarchen denkt wenn er redet. Man sah ihm an, dass er in sich selber ruhet und über Lob und Tadel erhaben ist. Es war mir bei ihm unbeschreiblich wohl; ich fühlte mich beruhigt, so wie es jemandem sein mag, der nach vieler Mühe und langem Hoffen endlich seine liebsten Wünsche befriedigt sieht.

Er kam sodann auf meinen Brief und dass ich recht habe, dass, wenn man eine Sache mit Klarheit zu behandeln vermöge, man auch zu vielen anderen Dingen tauglich sei.

»Man kann nicht wissen wie sich das drehet und wendet, sagte er dann; ich habe manchen hübschen Freund in Berlin, da habe ich denn dieser Tage Ihrer gedacht.«

Dabei lächelte er liebevoll in sich. Er machte mich sodann aufmerksam, was ich in diesen Tagen in Weimar alles noch sehen müsse, und dass er den Herrn Sekretär Kräuter bitten wolle mich herumzuführen. Vor allen aber solle ich ja nicht versäumen das Theater zu besuchen. Er fragte mich darauf wo ich logiere und sagte, dass er mich noch einmal zu sehen wünsche und zu einer passenden Stunde senden wolle.

Mit Liebe schieden wir auseinander; ich im hohen Grade glücklich, denn aus jedem seiner Worte sprach Wohlwollen und ich fühlte dass er es überaus gut mit mir im Sinne habe.


(Eckermann, Gespräche mit Goethe; Überschrift, Nummerierung und Abbildungen vom Herausgeber eingefügt)

Aktuelle Literatur
Helmuth Hinkfoth (Hg.)
Erstveröffentlichung
mit zahlreichen
Erläuterungen
Briefwechsel Goethe - Eckermann, 2017 Eckermann-Biographie, 2014
Helmuth Hinkfoth
Eckermann
Goethes
Gesprächspartner
Eine anregende Biografie
mit Einblicken in Goethes
persönliche Welt

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