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Johann Peter Eckermann − Gespräche mit Goethe (23)

(Hegel besucht Goethe)
(Band 3)
Donnerstag, den 18. Oktober 1827.

Hegel ist hier, den Goethe persönlich sehr hochschätzt, wenn auch einige seiner Philosophie entsprossene Früchte ihm nicht sonderlich munden wollen. Goethe gab ihm zu Ehren diesen Abend einen Tee, wobei auch Zelter gegenwärtig, der aber noch diese Nacht wieder abzureisen im Sinne hatte.

Man sprach sehr viel über Hamann, wobei besonders Hegel das Wort führte und über jenen außerordentlichen Geist so gründliche Ansichten entwickelte, wie sie nur aus dem ernstesten und gewissenhaftesten Studium des Gegenstandes hervorgehen konnten.

Hegel
Georg Wilhelm Friedrich Hegel
(1770 − 1831)

Sodann wendete sich das Gespräch auf das Wesen der Dialektik. – Es ist im Grunde nichts weiter, sagte Hegel, als der geregelte, methodisch ausgebildete Widerspruchsgeist, der jedem Menschen inwohnt, und welche Gabe sich groß erweiset in Unterscheidung des Wahren vom Falschen.

»Wenn nur, fiel Goethe ein, solche geistigen Künste und Gewandtheiten nicht häufig gemissbraucht und dazu verwendet würden, um das Falsche wahr und das Wahre falsch zu machen!«

Dergleichen geschieht wohl, erwiderte Hegel, aber nur von Leuten, die geistig krank sind.

»Da lobe ich mir, sagte Goethe, das Studium der Natur, das eine solche Krankheit nicht aufkommen lässt! Denn hier haben wir es mit dem unendlich und ewig Wahren zu tun, das jeden, der nicht durchaus rein und ehrlich bei Beobachtung und Behandlung seines Gegenstandes verfährt, sogleich als unzulänglich verwirft. Auch bin ich gewiss, dass mancher dialektisch Kranke im Studium der Natur eine wohltätige Heilung finden könnte.«

Wir waren noch im besten Gespräch und in der heitersten Unterhaltung, als Zelter aufstand und, ohne ein Wort zu sagen, hinausging. Wir wussten, es tat ihm leid, von Goethen Abschied zu nehmen, und dass er diesen zarten Ausweg wähle, um über einen schmerzlichen Moment hinwegzukommen.

(Eckermann, Gespräche mit Goethe. Überschrift und Nummerierung vom Herausgeber eingefügt.)
Helmuth Hinkfoth
Eckermanns Leben
in einer wundervollen
novellenartigen Erzählung
Erzählung: Am Haken des Lebens Eckermann-Biographie, 2014
Helmuth Hinkfoth
Eine anregende Biografie
Zu Goethe und Hegel s. a. die Gespräche vom 28.3.1827, vom 4.2.1829 (u. a. Goethe jeweils höchst kritisch über Hegel) und vom 17.2.1829 (beiläufig über eine Rezension Hegels über Hamann, hier nicht aufgenommen).

Eine Anthologie mit den Glanzlichtern aus den "Gesprächen mit Goethe" und dem Besten aus anderen Werken Eckermanns: Eckermann-Anthologie
Helmuth Hinkfoth (Hg.)
Erzählungen, Gedichte,
Briefe und Reflexionen
Johann Peter Eckermanns

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