Lieblingsfeind und Seelenfreund Es gibt nur wenige deutsche Schriftsteller der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, deren Prosawerke heute noch gedruckt und verkauft werden. Heinrich Heine etwa gehört zu ihnen und — merkwürdig! — einer von dessen Lieblingsfeinden, mit denen er, weil er sich von ihnen "gekränkt" fühlte, öffentlich "Abrechnung halten" wollte: Johann Peter Eckermann. Dessen Hauptwerk, die Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens erschien in zahlreichen Übersetzungen in aller Welt und erreichte nach seinem Tod ungeahnt hohe Auflagenzahlen, die bis heute in die Zigtausende gehen. Dieser oft verhöhnte, meist verkannte und zu Unrecht stets belächelte Dichter und Schriftsteller wurde am 21. September 1792 in Winsen an der Luhe geboren. Er wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf und verbrachte so manchen Tag lieber in der geliebten Natur zwischen Luhe und Elbe als auf der harten Schulbank der öffentlichen Schule. Das änderte sich erst, als einflussreiche Winsener Persönlichkeiten auf seine besonderen geistigen Fähigkeiten aufmerksam wurden. Sie ermöglichten ihm die Teilnahme am privaten Unterricht für die Söhne der wohlhabenderen Bürger der Stadt. Der leitende Pastor der lutherischen Kirchengemeinde, der Superintendent, festigte darüber hinaus den Glauben an die christlichen Werte, vor allem an das Gebot der Nächstenliebe und an Anstand und Grundvertrauen im zwischenmenschlichen Umgang.
Vom Amtsschreiber zum Dichter Nach dem Ende der Schulzeit arbeitete Eckermann zwischen 1808 und 1813 in verschiedenen Behörden zwischen Winsen und Bevensen. Fünf Jahre lang ertrug er das Schreiberdasein, dann entwand er sich in einem Akt der Selbstbefreiung der Tristesse der Amtsstuben: Er schloss sich als Kriegsfreiwilliger dem Feldzug gegen das französische Besatzungsheer an. Während der Soldatenzeit reifte in ihm der Entschluss, sich in Hannover von Johann Heinrich Ramberg zum Kunstmaler ausbilden zu lassen. Doch das Vorhaben erwies sich schon nach wenigen Wochen als zu schwierig und zu kostspielig. Er setzte sich nun zum Ziel, Dichter zu werden. Lernbegierig vertiefte er sich Abend für Abend nach der Arbeit mit Eifer in die Schriften der großen Dichter der Weltliteratur. In Goethe entdeckte er bald seinen literarischen "Leitstern". Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich derweil in Hannover wieder in einer der verhassten Amtsstuben. Zwischen etwa 1818 und 1823 folgte die aktivste und ergiebigste Zeit in seinem Leben. Neben seiner Berufstätigkeit besuchte er das Gymnasium und nahm zusätzlich Privatunterricht in den alten Sprachen. Mit unbändigem Ehrgeiz und enormem Fleiß erarbeitete er sich auf diesem Wege die langersehnte Qualifikation für ein Studium an der Universität Göttingen. 1819 verlobte er sich mit der jungen Hannoveranerin Johanne Bertram, "Hannchen" nannte er sie. Dank einer beachtlichen Prise poetischen Talents veröffentlichte er 1821 seinen ersten Gedichtband. Darüber hinaus konzipierte er ein Drama. 1821 und 1822 widmete er sich in Göttingen dem Studium der Jurisprudenz und vor allem der Philologie. Im Mittelpunkt aber stand seine literaturtheoretische Schrift "Beyträge zur Poesie mit besonderer Hinweisung auf Goethe". Mit ihr stellte er sich 1823 persönlich bei seinem Vorbild Goethe in Weimar vor.
Goethes Redakteur Der arglose junge Poet ließ sich von dem 74-jährigen Genius bereitwillig verleiten, ihm in Weimar zur Hand zu gehen, und zwar als fachkundiger Redakteur bei der Neuausgabe von dessen umfangreichem Gesamtwerk und keineswegs als dessen Sekretär, Büroleiter oder organisatorische rechte Hand, wie man bis heute vielfach glaubt. In der Hoffnung, durch Goethes Nähe weitere Fortschritte als Dichter machen zu können, unterstützte Eckermann sein verehrtes Vorbild fortan als redaktioneller und literarischer Helfer, blieb jedoch freier Autor und ungebunden. Er opferte Zeit und Kraft für Goethe, ohne für seine umfangreiche Tätigkeit ein Honorar zu erhalten. Stattdessen verschaffte ihm der knauserige alte Herr 1825 einen Doktortitel der Universität Jena. Das kostete ihn nichts und machte den so Bedachten für ein paar Stunden stolz, ehe er sich dafür jahrelang schämte. Das Verhältnis der beiden ungleichen Männer war vielschichtig und wechselhaft. Im Laufe der neun gemeinsamen Jahre trat bei beiden ein erheblicher Wandel in der gegenseitigen Einschätzung ein. Bei Goethe schwand die Geringschätzung seines "geprüften Haus- und Seelenfreundes" Eckermann und bei diesem die Vergötterung seines Lehrmeisters. Zur weiteren Vertiefung der wohl einzigartigen Beziehung sei auf die ausführliche Darstellung in der eingangs erwähnten Eckermann-Biografie verwiesen. Anders als von Eckermann erhofft, erwies Goethe sich nicht als Förderer, sondern als Hemmnis, allein auf den eigenen Vorteil bedacht. Eckermanns eigene poetische Schaffenskraft machte in Weimar keine Fortschritte, wenngleich der oftmals fast tägliche persönliche Umgang mit Goethe ihm verständlicherweise immense Freude bereitete und seinen geistigen Horizont erweiterte. Darin aber unterschied er sich nicht von all den anderen Personen, die sich um Goethe scharten oder um eine Audienz baten — mit einer Ausnahme: Heinrich Heine. Der ließ nach seinem Besuch bei Goethe am 2. Oktober 1824, von dessen reservierter Haltung zutiefst verletzt, kaum mehr ein gutes Haar an "Wolfgang Goethe", dem "Aristokratenknecht" mit dem "zahnlosen Mund".
Hofrath Doctor phil. J. P. Eckermann Seinen Lebensunterhalt bestritt Eckermann vor allem mit Literaturunterricht für junge Engländer sowie seit Ende des Jahres 1829 mit Englischunterricht für den Thronfolger des Weimarer Fürstenhofes, Prinz Carl Alexander. Dessen Mutter, die Großherzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach, Maria Pawlowna, ernannte Eckermann 1837 gegen ein geringes Gehalt zu ihrem kaum beschäftigten Privatbibliothekar, im Jahre 1843 überdies zum Hofrat. Das war ein bloßer Ehrentitel. Zwischen 1828 und 1834 geriet Eckermanns Leben noch einmal in den Zustand einer permanenten Unruhe. Die verzehrende Liebe zu einer jungen Weimarer Schauspielerin drohte ihn aus der Bahn zu werfen, hätte ihn nicht 1830 eine tragisch verlaufene Reise als Begleiter von Goethes alkoholsüchtigem Sohn August nach Italien geführt. Ein Jahr später heiratete er nach zwölfjähriger Verlobungszeit seine noch im Hannoverschen wartende Braut Johanne Bertram. Sie starb bereits 1834 kurz nach der Geburt des Sohnes Karl, der eigentlich Johann Friedrich Wolfgang hieß.
Erfolge, Rückschläge, Niederlagen Nach dem Tode Goethes im Jahre 1832 gab Eckermann auf den testamentarisch festgelegten Wunsch des Verstorbenen dessen nachgelassene Werke in fünfzehn Bänden heraus (s. a. die Seite über Eckermanns Werke). Darunter befanden sich mit "Dichtung und Wahrheit" und dem zweiten Teil des "Faust" zwei bedeutende Werke, die der betagte Goethe nur dank der intensiven Unterstützung Eckermanns zu vollenden vermocht hatte. Sein eigenes Hauptwerk, die zunächst zweibändigen "Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens", konnte Eckermann erst 1836 veröffentlichen, nachdem Goethe ihm eine Publikation zu seinen Lebzeiten untersagt hatte. Ein dritter Band folgte 1848. Zuvor hatte er im Jahre 1838 einen zweiten Gedichtband herausgegeben. Die Erlöse aus dem Verkauf seiner Werke und aus seiner Tätigkeit als Herausgeber neuer Goetheausgaben reichten jedoch nicht annähernd aus, um sich und den kleinen Sohn zu ernähren. Er häufte hohe Schulden an, litt Hunger und wurde immer wieder von Krankheiten heimgesucht. Zu allem Überfluss ließ er sich, juristisch schlecht beraten, erfolglos auf einen zähen Prozess gegen seinen Verleger Brockhaus ein, den er wegen vertragswidriger Machenschaften des Betruges verdächtigte. Mehr als dreißig Jahre lang saß Eckermann im ungeliebten Weimar fest — die gesamte zweite Hälfte seines Lebens. Es fehlte ihm schlicht an Geld für einen Neuanfang an einem anderen Orte. Völlig verarmt, von zwei Schlaganfällen schwer gezeichnet und vom Weimarer Fürstenhause sowie der Weimarer Gesellschaft vergessen, starb Eckermann am 3. Dezember 1854 in Weimar.
31.3.2020 (Text)
Hkf |