Inhalt   Daten   Leben   Werke   Gespräche   Gedichte   Stationen   Winsen   Weimar   Goethe   Urteile   Dokumente   Karl   Literatur   Kontakt
Gespr.-Verzeichnis   Gsp. 1   Gsp. 2   Gsp. 3   Gsp. 4   Gsp. 5   Gsp. 6   Gsp. 7   Gsp. 8   Gsp. 9   Gsp. 10   Gsp. 11   Gsp. 12   Gsp. 13   Gsp. 14   Gsp. 15
Gsp. 16   Gsp. 17   Gsp. 18   Gsp. 19   Gsp. 20   Gsp. 21   Gsp. 22   Gsp. 23   Gsp. 24   Gsp. 25   Gsp. 26   Gsp. 27   Gsp. 28   Gsp. 29   Gsp. 30   Gsp. 31

Johann Peter Eckermann − Gespräche mit Goethe (11)

(Goethe über Theater, Theaterbauten und Theatersubventionen)
(Band 3)
Sonntag, den 1. Mai 1825. (I)

Bei Goethe zu Tisch. Es ist zu denken, dass der veränderte Theaterbau1) das Erste war das zwischen uns zur Sprache kam. Ich hatte, wie gesagt, gefürchtet, dass die höchst unerwartete Maßregel Goethe tief verletzen würde. Allein keine Spur! – Ich fand ihn in der mildesten, heitersten Stimmung, durchaus über jede kleine Empfindlichkeit erhaben.

»Man hat, sagte er, dem Großherzog von seiten des Kostenpunktes und großer Ersparungen, die bei dem veränderten Bauplan zu machen, beizukommen gesucht und es ist ihnen gelungen. Mir kann es ganz recht sein. Ein neues Theater ist am Ende doch immer nur ein neuer Scheiterhaufen den irgendein Ungefähr über kurz oder lang wieder in Brand steckt. Damit tröste ich mich. Übrigens ein bisschen mehr oder weniger, ein bisschen auf oder ab ist nicht der Rede wert. Ihr werdet immerhin ein ganz leidliches Haus bekommen, wenn auch nicht gerade so wie ich es mir gewünscht und mir gedacht hatte. Ihr werdet hineingehen, und ich werde auch hineingehen und es wird am Ende alles ganz artig ausfallen.«

»Der Großherzog, fuhr Goethe fort, äußerte gegen mich die Meinung, ein Theater brauche keineswegs ein architektonisches Prachtwerk zu sein; wogegen im ganzen freilich nichts einzuwenden. Er meinte ferner, es sei doch immer nur ein Haus, das den Zweck habe Geld zu verdienen. Diese Ansicht klingt beim ersten Anhören etwas materiell, allein es fehlt ihr, recht bedacht, auch keineswegs eine höhere Seite. Denn will ein Theater nicht bloß zu seinen Kosten kommen, sondern obendrein noch Geld erübrigen und Geld verdienen, so muss eben alles durchaus ganz vortrefflich sein. Es muss die beste Leitung an der Spitze haben, die Schauspieler müssen durchweg zu den Besten gehören, und man muss fortwährend so gute Stücke geben, dass nie die Anziehungskraft ausgehe, welche dazu gehört um jeden Abend ein volles Haus zu machen. Das ist aber mit wenigen Worten sehr viel gesagt und fast das Unmögliche!«

Goethe, Porträt von George Dawe, 1819
Goethe
Porträt von George Dawe, 1819
»Er trug auf schwarzem Anzug
seinen Stern,
welches ihn so wohl kleidete.«
Eckermann, Gespräche mit Goethe,
14. Oktober 1823

Die Ansicht des Großherzogs, sagte ich, mit dem Theater Geld verdienen zu wollen, scheint also eine durchaus praktische zu sein, indem in ihr eine Nötigung liegt, sich fortwährend auf der Höhe des Vortrefflichen zu erhalten.

»Shakespeare und Molière, erwiderte Goethe, hatten auch keine andere. Beide wollten auch vor allen Dingen mit ihren Theatern Geld verdienen. Damit sie aber diesen ihren Hauptzweck erreichten, mussten sie dahin trachten, dass fortwährend alles im besten Stande und neben dem alten Guten immer von Zeit zu Zeit etwas tüchtiges Neues da sei das reize und anlocke. Das Verbot des Tartüff war für Molière ein Donnerschlag; aber nicht sowohl für den Poeten als für den Direktor Molière, der für das Wohl einer bedeutenden Truppe zu sorgen hatte und der sehen musste, wie er für sich und die Seinigen Brot schaffe.«

»Nichts, fuhr Goethe fort, ist für das Wohl eines Theaters gefährlicher, als wenn die Direktion so gestellt ist, dass eine größere oder geringere Einnahme der Kasse sie persönlich nicht weiter berührt, und sie in der sorglosen Gewissheit hinleben kann, dass dasjenige, was im Laufe des Jahres an der Einnahme der Theater-Kasse gefehlt hat, am Ende desselben aus irgendeiner anderen Quelle ersetzt wird. Es liegt einmal in der menschlichen Natur, dass sie leicht erschlafft, wenn persönliche Vorteile oder Nachteile sie nicht nötigen. Nun ist zwar nicht zu verlangen, dass ein Theater in einer Stadt wie Weimar sich selbst erhalten solle, und dass kein jährlicher Zuschuss aus der fürstlichen Kasse nötig sei. Allein es hat doch alles sein Ziel und seine Grenze, und einige tausend Taler jährlich mehr oder weniger sind doch keineswegs eine gleichgültige Sache, besonders da die geringere Einnahme und das Schlechterwerden des Theaters natürliche Gefährten sind, und also nicht bloß das Geld verloren geht, sondern die Ehre zugleich.«

»Wäre ich der Großherzog, so würde ich künftig, bei einer etwa eintretenden Veränderung der Direktion, als jährlichen Zuschuss ein für allemal eine feste Summe bestimmen; ich würde etwa den Durchschnitt der Zuschüsse der letzten zehn Jahre ermitteln lassen und danach eine Summe ermäßigen die zu einer anständigen Erhaltung als hinreichend zu achten wäre. Mit dieser Summe müsste man haushalten. – Dann würde ich aber einen Schritt weitergehen und sagen: wenn der Direktor mit seinen Regisseuren durch eine kluge und energische Leitung es dahin bringt, dass die Kasse am Ende des Jahres einen Überschuss hat, so soll von diesem Überschuss dem Direktor, den Regisseuren und den vorzüglichsten Mitgliedern der Bühne eine Remuneration zuteil werden. Da solltet Ihr einmal sehen, wie es sich regen und wie die Anstalt aus dem Halbschlafe in welchen sie nach und nach geraten muss, erwachen würde!«

»Unsere Theatergesetze, fuhr Goethe fort, haben zwar allerlei Strafbestimmungen, allein sie haben kein einziges Gesetz das auf Ermunterung und Belohnung ausgezeichneter Verdienste ginge. Dies ist ein großer Mangel. Denn wenn mir bei jedem Versehen ein Abzug von meiner Gage in Aussicht steht, so muss mir auch eine Ermunterung in Aussicht stehen, wenn ich mehr tue als man eigentlich von mir verlangen kann. Dadurch aber, dass alle mehr tun als zu erwarten und zu verlangen, kommt ein Theater in die Höhe.«

Frau von Goethe und Fräulein Ulrike2) traten herein, beide wegen des schönen Wetters sehr anmutig sommerhaft gekleidet. Die Unterhaltung über Tisch war leicht und heiter. Man sprach über allerlei Vergnügungspartien der vergangenen Woche, sowie über Aussichten ähnlicher Art für die nächste.
[...]


1) Der von Goethe und dem sachsen-weimarischen Oberbaudirektor Coudray angefertigte Entwurf eines Neubaus des in der Nacht zum 22.3.1825 abgebrannten Weimarer Theaters wurde trotz ursprünglicher Zusage des Großherzogs Carl August nicht umgesetzt. Stattdessen wurde auf Betreiben der Caroline Jagemann, attraktive, intrigante Schauspielerin mit großem Durchsetzungsvermögen und Mätresse des Großherzogs, von diesem 1809 zur Frau von Heygendorf geadelt, der Plan des Architekten Carl Friedrich Steiner ausgeführt.
2) Frau von Goethe: Goethes Schwiegertochter Ottilie von Goethe (1796—1872); Fräulein Ulrike: Ulrike von Pogwisch (1804—1875), die Schwester Ottilie von Goethes; sie wohnte zu jener Zeit bei der Familie von Goethes Sohn August in der Mansardenwohnung des Goethehauses.

(Eckermann, Gespräche mit Goethe. An der gekennzeichneten Stelle um andersthematische Inhalte gekürzt. Überschrift, Nummerierung und Abbildung vom Herausgeber eingefügt. Teil II s. Gespräch 12)

Literatur
Entstehung und Rezeption
der "Gespräche mit Goethe"
bilden einen Schwerpunkt der anregenden Biografie über den Schriftsteller Johann Peter Eckermann.
Eckermann-Biographie, 2014
Helmuth Hinkfoth
Eckermann
Goethes Gesprächspartner

Oben   Gespräche-Index   Inhalt   Kontakt