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Johann Peter Eckermann − Gespräche mit Goethe (26)

(Religion, Unsterblichkeit der Seele und Philosophie – Goethe kritisiert Hegel. Anhang: Goethe vernichtend über Hegel im Zusammenhang mit dem Philosophen Hermann Friedrich Wilhelm Hinrichs)
Mittwoch den 4. Februar 1829.

»Ich habe im Schubarth zu lesen fortgefahren, sagte Goethe; er ist freilich ein bedeutender Mensch, und er sagt sogar manches sehr Vorzügliche, wenn man es sich in seine eigene Sprache übersetzt. Die Hauptrichtung seines Buches geht darauf hinaus, dass es einen Standpunkt außerhalb der Philosophie gebe, nämlich den des gesunden Menschenverstandes, und dass Kunst und Wissenschaft, unabhängig von der Philosophie, mittelst freier Wirkung natürlicher menschlicher Kräfte immer am besten gediehen sei. Dies ist durchaus Wasser auf unsere Mühle. Von der Philosophie habe ich mich selbst immer frei erhalten; der Standpunkt des gesunden Menschenverstandes war auch der meinige, und Schubarth bestätiget also, was ich mein ganzes Leben selber gesagt und getan habe.

Das einzige, was ich an ihm nicht durchaus loben kann, ist, dass er gewisse Dinge besser weiß, als er sie sagt, und dass er also nicht immer ganz ehrlich zu Werke geht. So wie Hegel zieht auch er die christliche Religion in die Philosophie herein, die doch nichts darin zu tun hat. Die christliche Religion ist ein mächtiges Wesen für sich, woran die gesunkene und leidende Menschheit von Zeit zu Zeit sich immer wieder emporgearbeitet hat; und indem man ihr diese Wirkung zugesteht, ist sie über aller Philosophie erhaben und bedarf von ihr keiner Stütze. So auch bedarf der Philosoph nicht das Ansehen der Religion, um gewisse Lehren zu beweisen, wie z. B. die einer ewigen Fortdauer. Der Mensch soll an Unsterblichkeit glauben, er hat dazu ein Recht, es ist seiner Natur gemäß, und er darf auf religiöse Zusagen bauen; wenn aber der Philosoph den Beweis für die Unsterblichkeit unserer Seele aus einer Legende hernehmen will, so ist das sehr schwach und will nicht viel heißen. Die Überzeugung unserer Fortdauer entspringt mir aus dem Begriff der Tätigkeit; denn wenn ich bis an mein Ende rastlos wirke, so ist die Natur verpflichtet, mir eine andere Form des Daseins anzuweisen, wenn die jetzige meinem Geist nicht ferner auszuhalten vermag.«
[...]


Karl Ernst Schubarth (1796-1861), schlesischer Privatgelehrter, von Goethe hoch geachtet ("Schubarth ist himmlisch"), setzte sich kritisch mit Hegel auseinander.
Vernichtend äußerte sich Goethe am 21. und 28.3.1827 (Eckermann, Gespräche mit Goethe, Bd. 3) im Zusammenhang mit dem Philosophen Hermann Friedrich Wilhelm Hinrichs (geb. 1794 in Hohenkirchen, nördl. Ostfriesland, gest. 1861 in Friedrichroda, Thür.) über Hegel. Hinrichs Werk „Das Wesen der antiken Tragödie" (Halle, 1827) sei «sehr merkwürdig». «Wenn ich aber ehrlich sagen soll, so thut es mir leid, daß ein ohne Zweifel kräftig geborener Mensch von der norddeutschen Seeküste, wie Hinrichs, durch die Hegel'sche Philosophie so zugerichtet worden, daß ein unbefangenes natürliches Anschauen und Denken bei ihm ausgetrieben und eine künstliche und schwerfällige Art und Weise sowohl des Denkens wie des Ausdruckes ihm nach und nach angebildet worden, so daß wir in seinem Buch auf Stellen gerathen, wo unser Verstand durchaus stille steht und man nicht mehr weiß, was man lieset.»
Hegel findet auch in den Unterhaltungen zwischen Goethe und Eckermann vom 18.10.1827 und 1.9.1829 Beachtung.
(Anm. d. Hg.)
(Eckermann, Gespräche mit Goethe. An der gekennzeichneten Stelle um andersthematische Inhalte gekürzt. Überschrift, Nummerierung und Anmerkungen vom Herausgeber eingefügt.)

Literatur
Eine Anthologie mit den Glanzlichtern aus den "Gesprächen mit Goethe" und dem Besten aus anderen Werken Eckermanns: Eckermann-Anthologie
Helmuth Hinkfoth (Hg.)
Erzählungen, Gedichte,
Briefe und Reflexionen
Johann Peter Eckermanns

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