Johann Peter Eckermann − Gespräche mit Goethe (29)(Goethe über Ludwig Börne sowie über die Arbeit am "Faust")
Montag den 2. Mai 1831.
Goethe erfreute mich mit der Nachricht, dass es ihm in diesen Tagen gelungen, den bisher fehlenden Anfang des fünften Aktes von "Faust" so gut wie fertig zu machen. »Die Intention auch dieser Szenen, sagte er, ist über dreißig Jahre alt; sie war von solcher Bedeutung, dass ich daran das Interesse nicht verloren, allein so schwer auszuführen, dass ich mich davor fürchtete. Ich bin nun durch manche Künste wieder in Zug gekommen, und wenn das Glück gut ist, so schreibe ich jetzt den vierten Akt hintereinander weg.« Goethe erwähnte darauf eines bekannten Schriftstellers1). »Es ist ein Talent, sagte er, dem der Parteihass als Alliance dient und das ohne ihn keine Wirkung getan haben würde. Man findet häufige Proben in der Literatur, wo der Hass das Genie ersetzet, und wo geringe Talente bedeutend erscheinen, indem sie als Organ einer Partei auftreten. So auch findet man im Leben eine Masse von Personen, die nicht Charakter genug haben, um alleine zu stehen; diese werfen sich gleichfalls an eine Partei, wodurch sie sich gestärkt fühlen und nun eine Figur machen. Béranger dagegen ist ein Talent, das sich selber genug ist. Er hat daher auch nie einer Partei gedient. Er empfindet zu viele Satisfaktion in seinem Innern, als dass ihm die Welt etwas geben oder nehmen könnte.«
1) Eckermann ließ die Namen noch lebender Zeitgenossen häufig ungenannt. Gelegentlich ersetzte er sie auch durch drei Sternchen. Lt. seinem Tagebuch handelte es sich bei dem o. g. "bekannten Schriftsteller" um Ludwig Börne. Dieser hatte Goethe häufig verunglimpft.
(Eckermann, Gespräche mit Goethe. Überschrift, Nummerierung und Anmerkung vom Herausgeber eingefügt.
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